Mobilitätsarmut in Bremen – ein ungleiches Spiel

Mobilitätsarmut in Bremen – ein ungleiches Spiel 1

Mobilität ist mehr als ein Weg von A nach B – sie schafft Zugang zu Bildung, Arbeit, Freizeit und sozialem Leben. In Teil 1 unserer Serie zur Mobilitätsarmut haben wir den ländlichen Raum beleuchtet, in dem ÖPNV-Angebote oft rar sind. Teil 2 widmete sich den Herausforderungen in urbanen Räumen, wo trotz dichterem Netz soziale Ungleichheiten zu Mobilitätsproblemen führen. Jetzt schauen wir konkret auf Bremen: Wo hakt es im Nahverkehr? Wer ist besonders betroffen? Und was müsste passieren, damit alle Menschen mobil sein können?

Die ungleichen Startbedingungen zwischen Auto und ÖPNV zeigen sich in Bremen sehr deutlich. Zwar verfügt das Zentrum über ein vergleichsweise gut ausgebautes Netz mit Bus und Straßenbahn, doch schon wenige Kilometer außerhalb verändert sich das Bild. Wer etwa aus Gröpelingen oder Oberneuland zur Domsheide möchte, braucht mit dem ÖPNV im Schnitt zwanzig Minuten länger als mit dem Auto. Fällt eine Bahn aus oder ist der Anschluss schlecht getaktet, summiert sich das schnell. Noch drastischer ist die Situation an den Rändern der Stadt: In Bremen-Nord fehlt es an durchgehenden Verbindungen – an Sonn- und Feiertagen oder in den späten Abendstunden ist die Lage besonders angespannt. Menschen, die in Schicht arbeiten oder außerhalb der klassischen „Bürozeiten“ unterwegs sind, haben kaum verlässliche Optionen.

Die Linie 4 fährt zum Beispiel zwar alle zehn Minuten, aber nur jede zweite Bahn verlässt Borgfeld in Richtung Lilienthal. Wer eine Verbindung verpasst, muss mitunter zwanzig Minuten auf die nächste warten. Und wer auf die Regionalbahn RS1 angewiesen ist, etwa in Bremen-Nord, muss Verspätungen oder gar Ausfälle einkalkulieren: 2023 war jede zehnte Fahrt mehr als fünf Minuten zu spät, jede zwanzigste fiel ganz aus. Wer also werktags auf diese Verbindung angewiesen ist, wartet 12 mal im Jahr vergebens auf den Zug.

Zur Mobilitätsarmut gehört nicht nur der zeitliche Mehraufwand. Besonders drastisch zeigt sich das Problem bei der Barrierefreiheit. Laut Daten des ZVBN waren 2022 noch über 70 Prozent der Bushaltestellen in Bremen nicht barrierefrei. Bei weiteren 20 Prozent ist technische oder fremde Hilfe erforderlich, um überhaupt einsteigen zu können. Die offiziell als barrierefrei deklarierten Straßenbahnhaltestellen sind oft nur unter Idealbedingungen zugänglich: Fällt der Hublift aus – keine Seltenheit –, wird der Einstieg zur Herausforderung. Kritisch: Nur Menschen im Rollstuhl sind im Fall eines Unfalls über die BSAG versichert. Wer mit Rollator, Kinderwagen oder Krücken auf den Lift angewiesen ist, muss im Zweifel selbst zahlen.

Selbst vergleichsweise gut gestellte Stadtteile wie Oberneuland sind betroffen. Zwar existieren dort Haltestellen, doch sind sie aus manchen Teilen des Stadtteils ohne Auto kaum zu erreichen. Die mangelnde Erreichbarkeit trifft damit auch Menschen, die eigentlich im Einzugsgebiet des ÖPNV wohnen.

Bremen gilt als Fahrradstadt, doch auch hier offenbaren sich Schwächen. Im ADFC-Fahrradklimatest 2024 rutschte Bremen von Platz eins auf Platz drei ab, obwohl bereits die frühere Spitzenbewertung nur eine Note von 3,6 aufwies – also allenfalls befriedigend. Auch die aktuelle Bewertung mit 3,54 zeigt: Der Handlungsbedarf ist weiterhin groß. Ein wesentlicher Kritikpunkt ist der schleppende Ausbau der sogenannten Premiumrouten. Die Pläne, die unter mehreren grünen Verkehrssenator*innen entwickelt wurden, sollten den Radverkehr sicherer und attraktiver machen. Doch die Umsetzung kommt nur langsam voran. Zwar macht der Wallring sichtbar Fortschritte, doch viele andere Premiumrouten bestehen bislang nur aus einzelnen, nicht verbundenen Teilstücken – oder befinden sich erst in Planung. In ihrer Gesamtheit ergeben sie bislang kein funktionierendes Netz. Hinzu kommt die schlechte Qualität vieler vorhandener Wege: Schlaglöcher, fehlende Abtrennungen zum Autoverkehr und zweckentfremdete Radwege mindern die Verkehrssicherheit.

Der zentrale Hebel gegen Mobilitätsarmut liegt in einer besseren Infrastruktur. Zwar wäre ein Schnellbahnnetz für Bremen wünschenswert, ist aber mittelfristig unrealistisch. Realistischer ist der gezielte Ausbau des Straßenbahnnetzes. Wir haben dazu gemeinsam mit dem BUND bereits 2021 das Konzept „Mehr Straßenbahn wagen!“ veröffentlicht, das konkrete Vorschläge für die Erweiterung des Netzes macht. Einerseits braucht es Erweiterungen in bislang schlecht angebundene Stadtteile wie Osterholz, andererseits müssen bestehende Knotenpunkte wie die Domsheide oder der Hauptbahnhof entlastet werden. Neben bestehenden Maßnahmen wie der Querspange-Ost, die eine erste wichtige Querverbindung darstellt, braucht es vor allem zusätzliche Verbindungen dieser Art zwischen den Stadtteilen, die unabhängig vom Zentrum verlaufen, sowie eine Ringlinie, die die Innenstadt umgeht. Solche Strukturen erhöhen die Stabilität des Netzes bei Störungen und bieten alternative Routen, ohne immer das Zentrum durchqueren zu müssen. Auch die Weserquerungen stellen ein Problem dar: Lediglich zwei Brücken sind für die Straßenbahn befahrbar, was das Netz anfällig für Bauarbeiten oder Störungen macht. Zusätzliche Brücken würden hier Resilienz schaffen.

Für all diese Maßnahmen braucht es Geld. Mit dem Einfach Einsteigen Finanzierungskonzept haben wir bereits 2019 einen Vorschlag gemacht: Eine paritätische Umlagefinanzierung, bei der alle Bremer*innen – gestaffelt nach Einkommen – einen Beitrag leisten. Auch Unternehmen sollen ihren Teil beisteuern. Mit einem Beitrag von 19 Euro pro Monat (ermäßigt 10 Euro) ließen sich rund 80 Millionen Euro jährlich generieren. Gleichzeitig wird das Konzept „Mehr Straßenbahn wagen!“ aktuell überarbeitet, um es an die veränderten Rahmenbedingungen und zukünftigen Mobilitätsbedarfe anzupassen. Das wäre genug, um Betrieb, Ausbau und sogar ticketfreies Fahren zu finanzieren – angepasst an die Realitäten des Deutschlandtickets.

Wer in Bremen mobil sein will, braucht Geduld, Glück oder ein Auto. Damit Mobilität kein Luxus bleibt, müssen wir den Nahverkehr konsequent ausbauen, barrierefrei gestalten und solidarisch finanzieren. Mobilität ist kein Privileg – sie ist Teil sozialer Gerechtigkeit. Nur wenn alle mitgenommen werden, kann unsere Stadt wirklich in Bewegung bleiben.

Auch über Bremen hinaus werden wir das Thema Mobilitätsarmut weiterverfolgen. Angesichts der derzeitigen Kürzungspläne im ÖPNV wollen wir uns demnächst gezielt mit der Situation in Bremerhaven befassen. Dieser vierte Teil unserer Serie ist besonders wichtig, um drohende Mobilitätsverluste sichtbar zu machen und auf notwendige Maßnahmen hinzuweisen, bevor irreversible Einschnitte geschehen.