
In Bremerhaven gibt es nach langer Diskussion ernsthafte Bestrebungen zur Wiedereinführung einer Straßenbahn. Wir haben mit Jens Volkmann, Sprecher des VCD Bremerhaven, einem der hartnäckigsten Verfechter des Projekts gesprochen, um mehr über den aktuellen Stand und die weiteren Perspektiven zu erfahren.
Kurzvorstellung: Jens Volkmann
Jens Volkmann ist seit vielen Jahren Sprecher des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) in Bremerhaven. Seit 1998 setzt er sich gemeinsam mit seinen Mitstreiter*innen für die Rückkehr der Straßenbahn in die Seestadt ein. Er war maßgeblich an der Erstellung und Veröffentlichung der Broschüre „Die Straßenbahn. Für die Zukunft Bremerhavens“ beteiligt, die im August 2013 vom VCD Bremerhaven und dem Nord-Süd-Forum Bremerhaven herausgegeben wurde. Als engagierter Verfechter eines umweltfreundlichen öffentlichen Nahverkehrs nimmt er verkehrspolitische Entscheidungen, die dem ÖPNV schaden, kritisch in den Blick und positioniert sich öffentlich zu stadtentwicklungspolitischen Themen. Seine langjährige Beharrlichkeit in der Frage der Straßenbahnwiedereinführung hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Thema in Bremerhaven kontinuierlich auf der politischen Agenda bleibt.
Das Interview
Einfach Einsteigen: Du setzt Dich seit mehr als 25 Jahren für die Wiedereinführung der Straßenbahn in Bremerhaven ein. Was motiviert Dich, dieses Thema über einen so langen Zeitraum zu verfolgen?
Genau genommen seit 35 Jahren. Auslöser war ein Besuch mit der Familie in Freiburg im Breisgau im Jahr 1990. Mein Bruder Axel hatte angeregt, sich dort einmal die damals neu angelegten Straßenbahnstrecken in den Freiburger Westen anzusehen. Die sind mustergültig trassiert, mit Rasengleisen und Ampelvorrangschaltungen. Mindestens genauso herausragend ist die Integration der Tram in der Altstadt, die eine großräumige Fußgängerzone ist. Mit der Straßenbahn wird sie leistungsfähig, aber eben auch sanft und stadtverträglich erschlossen. Das hat mich damals so beeindruckt, dass ich mir gesagt habe: So etwas brauchen wir in Bremerhaven auch! Das System ist so überzeugend, dass es sich lohnt, dafür auch über Jahrzehnte am Ball zu bleiben.
Einfach Einsteigen: Anfang April wurde bekannt, dass ein Planungsbüro gefunden wurde, um die Machbarkeitsstudie zur Straßenbahn durchzuführen. Das Auftaktgespräch fand am 30. April statt. Wie bewertest Du diese Entwicklung und welche Rolle spielt der VCD in diesem Prozess?
Wir sind natürlich hocherfreut, dass nach so langer Zeit endlich ein externes Gutachterbüro den volkswirtschaftlichen Nutzen eines neuen Straßenbahnsystems ermitteln wird. Das ist genau die Untersuchung, auf die wir so lange gedrungen haben, weil nur mit ihr die erforderlichen Zuschüsse vom Bund, vom Land und ggf. auch von der EU fließen werden, sofern das Untersuchungsergebnis positiv ist. Es gab tatsächlich über lange Jahre Politiker in Bremerhaven, die dieses Gutachten verhindern wollten, weil sie die Straßenbahn aus ideologischen Gründen ablehnen.
Wir als VCD gehören jetzt zu einem begleitenden Arbeitskreis des Projekts, der beim Stadtplanungsamt angesiedelt ist. Dieser hatte zusammen mit der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung BIS in einem zweijährigen Prozess die Grundlagen für das Vergabeverfahren des Gutachtens organisiert. Ein zäher Vorgang, der viel Zeit gekostet hat.
Aufgabe des AK wird es nun sein, zusammen mit dem Gutachter den bestmöglichen Einstieg in ein hochwertiges Nahverkehrssystem zu finden. Es gilt, eine sogenannte Vorzugsvariante für eine erste Straßenbahnlinie zu entwickeln. Unter der Maßgabe der technischen Machbarkeit und der Wirtschaftlichkeit.
Einfach Einsteigen: Was ist der Kern Eures Konzepts für die Wiedereinführung der Straßenbahn? Welche Aspekte werden in der Machbarkeitsstudie und einer möglichen standardisierten Bewertung untersucht?
Aus unserer Sicht geht es bei der Einführung einer modernen Straßenbahn in Bremerhaven um zwei Zielsetzungen: Eine echte Alternative zum Auto zu entwickeln und den öffentlichen Raum aufzuwerten. Ein Straßenbahnprojekt ist aus unserer Sicht immer auch ein Städtebauprojekt. Wir bieten damit den Menschen in der Stadt mehr Lebensqualität und leisten gleichzeitig einen nachhaltigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschutz.
Im Teilbereich der technischen Machbarkeit der Untersuchung wird es darum gehen, die Straßenbahn in die vorhandenen Straßenräume zu integrieren und ihr nach Möglichkeit immer freie Fahrt zu ermöglichen. Natürlich unter Berücksichtigung der Flächenansprüche der Fußgänger und Radfahrer, aber auch des Autoverkehrs, der jedoch in einem gewissen Umfang Verkehrsflächen an den Umweltverbund zurückgeben wird müssen.
Aus dieser Untersuchung wird eine Vorzugsvariante ermittelt werden, die dann der sogenannten standardisierten Bewertung unterzogen wird. Hier werden beispielsweise die durch die Tram eingesparten Pkw-Kilometer und damit CO₂-Emissionen sowie Reisezeiteinsparungen im ÖPNV den Investitions- und Betriebskosten gegenübergestellt. Sollte der hier zu ermittelnde Nutzen-Kosten-Indikator größer als 1 sein, ist das Projekt förderfähig und Bremerhaven kann mit Zuschüssen von bis zu 90 Prozent der Investitionskosten rechnen.
Einfach Einsteigen: Wie schätzt Du die Stimmung in der Bevölkerung hinsichtlich einer Wiedereinführung der Straßenbahn ein? Gibt es aus Deiner Sicht ausreichend Unterstützung für das Projekt?
Wir haben überwiegend positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung erhalten. Die Leute wissen um die Qualität von schienengebundenen Verkehrsmitteln. Der Fahrkomfort ist einfach deutlich besser als beim Bus. Daher die hohen Sympathiewerte für die Straßenbahn. Man spricht in diesem Zusammenhang ja auch vom sogenannten Schienenbonus. Die Menschen lassen ihr Auto viel eher für eine Straßenbahn stehen als für einen Bus. Das ist empirisch nachgewiesen.
Hinzu kommen unsere Visualisierungen, die Bremerhaven mit einer modernen Straßenbahn im öffentlichen Raum zeigen. Die haben bei vielen Menschen für einen Aha-Effekt gesorgt. Die Chancen für eine Verschönerung unserer Stadt durch Einführung eines hochwertigen Nahverkehrs haben mittlerweile viele Leute erkannt.
Einfach Einsteigen: Wann rechnest Du mit konkreten Ergebnissen der Machbarkeitsstudie, und wie schätzt Du die Chancen ein, dass die Studie positiv ausfällt und die Bremerhavener Stadtpolitik sich tatsächlich für die Straßenbahn entscheidet?
Für die Ermittlung der technischen Machbarkeit und eine daraus abgeleitete erste Empfehlung für das weitere Vorgehen haben die Gutachter etwa 18 Monate angesetzt. Nach einer Spiegelung dieser Ergebnisse gegenüber der Politik und der Stadtgesellschaft soll dann die eigentliche standardisierte Bewertung der Vorzugsvariante vorgenommen werden. Die Präsentation des Gesamtergebnisses ist für Anfang 2028 vorgesehen. Das ist ein langer Untersuchungszeitraum. Am Ende aber wird es belastbare Zahlen geben. Wir sind zuversichtlich, dass eine Straßenbahn für Bremerhaven volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Allein die Bandstadtstruktur der Seestadt ist prädestiniert für die Schiene. Viele relevante Einrichtungen sind wie an einer Perlschnur aufgereiht schon mit einer Linie zu erreichen.
Wenn die Politik die Chancen erkennt, die sich mit diesem Projekt verbinden – mehr Lebensqualität für die Menschen, nachhaltiger Umwelt- und Klimaschutz, städtebauliche Aufwertung gerade auch für benachteiligte Stadtteile – dann bin ich zuversichtlich, dass es grünes Licht für eine moderne Tram in Bremerhaven geben wird.
Wir danken Jens Volkmann für das Interview!