Rund 60 Interessierte aus Bremen und weit darüber hinaus trafen sich am 15. Februar 2020 im Kraftwerk City Accelerator in Bremen. Beim ersten Barcamp Nahverkehr diskutierten sie über die Zukunft und Verbesserungsvorschläge für den ÖPNV. Die unterschiedlichen Hintergründe der Teilnehmenden spiegelten sich auch in der Vielfalt der angebotenen Workshops wider. Von konkreten Finanzierungskonzepten, über barrierefreie Zugänge der Bahnsteige bis hin zur Programmierung neuer Anzeigetafeln: Der Austausch in lockerer Atmosphäre machte deutlich, dass ein attraktiver Nahverkehr ein gesellschaftliches Querschnittsthema ist und sich viele Menschen aktiv für dessen Verbesserung einsetzen. So war das Barcamp eine Plattform für Erfahrungsaustausch und gemeinsames Lernen. Die Arbeit an konkreten Verbesserungsvorschlägen wird nun in Form von überregionalen AGs fortgeführt. Wir waren positiv überrascht von der großen Resonanz dieser Auftaktveranstaltung und möchten das Format auch in den nächsten Jahren fortführen.
Um was ging es?
Wir möchten konkrete Schritte in Richtung Verkehrswende fördern und dafür den Ideen- und Erfahrungsaustausch zu nachhaltiger Mobilität stärken. Unser Anliegen war es deshalb, die Menschen aus der VBN-Region zusammenzubringen, die sich für eine Verbesserung des Nahverkehrs einsetzen. So trafen sich auf dem Barcamp am 15. Februar 2020 rund 60 Interessierte aus der ganzen Region. Mit freundlicher Unterstützung der GLS Bank und in Kooperation mit dem Kraftwerk City Accelerator Bremen haben wir dort einen Tag lang den Raum für Austausch, Kennenlernen und innovative Ideen geöffnet.
Was genau ist eigentlich ein Barcamp?
Bei dieser Veranstaltungsform stehen die Teilnehmenden klar im Vordergrund. Denn diese „Unkonferenz“ erleichtert es verschiedenen Interessensgruppen mit unterschiedlichem Wissensstand und Hintergrund, gemeinsam an einem partizipativen Prozess mitzuwirken. So entsteht eine lockere Austauschplattform, bei der die inhaltlichen Schwerpunkte von den Teilnehmenden vor Ort festgelegt werden und informelle Gespräche erleichtert werden. Anders als bei einer klassischen Konferenz gibt es daher keine Vorträge von Referent*innen, sondern von den Teilnehmenden selbst. Die Themenvorschläge werden eingangs im Plenum vorgestellt und je nach Interessenlage der Gruppe zu den verschiedenen Sessions zugeordnet. Es ergibt sich ein abwechslungsreiches Programm aus Workshops, Vorträgen und Diskussionen.
Großes Interesse am Thema Nahverkehr
Interessierte aus dem ganzen VBN-Gebiet und darüber hinaus besuchten unser Barcamp. Auch wir waren erfreut, wie viele verschiedene Leute sich mit dem Themenfeld beschäftigen. Das breite Altersspektrum und die hohe Diversität der Teilnehmenden aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern spiegelten das große Interesse am ÖPNV besonders deutlich wider. Nahverkehr geht jede*n etwas an und ist in allen gesellschaftlichen Bereichen bei Schüler*innen bis hin zu Senior*innen ein wichtiges Thema. Neben Abgeordneten aus der Bremer und niedersächsischen Kommunal- und Landespolitik waren auch Vertreter*innen der BSAG, von verdi, des VBN, der Arbeitnehmerkammer, des Fahrgastbeirats im VBN, des Deutschen Bahnkunden-Verbandes, von Universitäten, der Umweltverbände und Initiativen sowie FÖJler*innen und Stadtplaner*innen vor Ort.
Die Teilnehmenden waren sehr daran interessiert, sich auszutauschen und gemeinsam neue Visionen zu entwickeln, wie ein attraktiver Nahverkehr in der Zukunft aussehen könnte. Bianca Wenke, Mitglied des Arbeitskreises Mobilität der SPD-Fraktion Östliche Vorstadt, betonte: „Unser Thema ist es, den ÖPNV voranzubringen. […] Hier beim Barcamp ist es einfach, mit anderen Leuten ins Gespräch zu kommen. Wir bekommen einfach neue Impulse und zusätzliche Sachen mit, wie man es finanzieren kann.“
„Ich fand es wirklich gut, dass auch viele niedersächsische Teilnehmende beim Barcamp waren, mit denen ich mich unterhalten und vernetzt habe“, ergänzte auch Anja Schiemann, Sprecherin für Verkehr der SPD-Bürgerschaftsfraktion, die in diesem Kontext auf die Pendlerproblematik hinwies. Es sei wichtig, nicht nur Bremisch zu denken, sondern auch das Umland mit einzubeziehen. Der große Wunsch nach Austausch hat uns von Einfach Einsteigen sehr gefreut und wir danken allen, die dabei gewesen sind und ihre Ideen eingebracht haben.
Angebotsverbesserungen des ÖPNV als Herausforderung
Am Wochenende nach 23.00 Uhr mit dem Bus aus der Innenstadt nach Hause nach Bremen Nord fahren? Fehlanzeige! Hintergrund des breiten Interesses am Barcamp waren unter anderem diese vielen Leerstellen im ÖPNV. Es sind Herausforderungen, die einer Nahverkehrswende derzeit noch im Weg stehen.
„Aus meiner Sicht das größte Problem beim ÖPNV ist aktuell, dass es nicht als Gesellschaftsaufgabe gesehen wird. Mein Traum wäre es, dass das Angebot da ist und dass es jeder nutzen kann. […] Und dass die Notwendigkeit gesehen wird, dass es finanziert werden muss, […] einfach um die Autos aus den Städten und vom Land zu kriegen, damit die Leute mehr an der Gesellschaft teilhaben können“, erläuterte Antonia Flach, Freiwillige im Ökologischen Jahr in der Biologischen Station Osterholz.
Simon Schreckenberg, Abiturient und ehemaliger Mitarbeiter der Hagener Straßenbahn AG, ist extra aus dem Ruhrgebiet angereist, um am Barcamp teilzunehmen. Er forderte von der Politik, „den Autoverkehr zu schwächen, natürlich sozialverträglich, d. h. Fußverkehr, ÖPNV und Radverkehr viel mehr zu fördern, als es heute getan wird. Dafür sollte man sich auch an anderen Ländern orientieren, wo so etwas schon gemacht wird, und einfach innovativer sein.“
„Verbesserungsbedürftig ist die Kapazität generell. Denn wenn der ÖPNV das Rückgrat sein soll, was er für die Verkehrswende sein müsste, dann brauchen wir viel mehr Kapazität“, unterstrich Peter Zenner. Er hat im letzten Jahr die Initiative Verkehrswandel Oldenburg ins Leben gerufen und wollte sich beim Barcamp über Konzepte und Möglichkeiten für einen attraktiveren Nahverkehr informieren.
Dr. Dominik Santner, Referent für Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik von der Arbeitnehmerkammer Bremen, wies in diesem Zusammenhang auf das Problem von Engpässen zu Stoßzeiten und bei den Beschäftigen hin: „Es gibt einerseits Zeiten, zu denen sehr viele Menschen unterwegs sein müssen oder auch wollen, dann wird es sehr eng in Bussen und Bahnen. Gleichzeitig gibt es jedoch in gewissen Bereichen auch Personalengpässe […]. Dieser Personalmangel ist natürlich auch ein Faktor, der es schwierig macht, mehr Nahverkehr zu gewährleisten.“
Dennis Stahmann, stellvertretender Betriebsratsvorsitzende der BSAG, wies auf die Dringlichkeit deutlich besserer Rahmenbedingungen für die Beschäftigen hin, die den Bus und die Straßenbahn am Ende bewegen. In Bezug auf Infrastruktur forderte er „einen Streckenausbau und eine Taktverdichtung, statt noch weiter einzusparen und Linien auszudünnen. Und natürlich einen funktionierenden ÖPNV und eine Anbindung von Bremen Nord.“
So kamen die Teilnehmenden in den Sessions immer wieder auf den Netzausbau zu sprechen. Bianca Wenke unterstrich die zentrale Rolle dieses Themas, um die Menschen zu einem Umstieg vom eigenen PKW auf die Straßenbahn oder in den Bus zu motivieren. Sie erläuterte wichtige Herausforderungen beim Ausbau: „Das kann man nicht von heute auf morgen machen, weil da entsprechende Planungsvorläufe nötig sind. Eine Verstärkung der Taktzeiten kann man hingegen leichter machen. Aber auch dafür braucht es einen Vorlauf von zwei bis drei Jahren. Genau an diesem Thema sind wir momentan dran, die Taktzeiten dort anzupassen, wo es jetzt schon sehr hohe Nachfragen gibt.“
Ideen für einen besseren Nahverkehr
Um den Nahverkehr attraktiver zu gestalten und mehr Menschen zum Umstieg zu gewinnen, sieht der Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (VBN) bereits einige Änderungen vor. Eckhard Spliethoff, Pressesprecher des VBN, betonte: „Wir versuchen stetig, das Angebot zu verbessern, Takte zu verdichten und es einfacher zu machen […], indem wir zum Beispiel ein Handyticket anbieten. Damit man nicht mehr die Tarife kennen muss, sondern dass man auch in dem Sinne einfach einsteigt. […] Deswegen die Idee, einfach einsteigen, ist genauso unsere.“
Wie also können die Menschen in der Region den Nahverkehr voranbringen? Welche Anliegen bewegen die Teilnehmenden am Barcamp? Welche Ideen und Verbesserungsvorschläge gibt es? Um diese Fragen haben sich die rund 20 Themen gedreht, die in den vier Sessions parallel vorgestellt und diskutiert wurden. Einige der konkreten Themen waren dabei beispielsweise Hintergründe zur Finanzierung, Voraussetzungen für einen umlagefinanzierten Nahverkehr im Bremer Umland sowie generell eine bessere Nahverkehrsanbindung im ländlichen Raum. Zudem stellten die Teilnehmenden Ideen zu selbst programmierten Netzplänen und Displays sowie zum Thema Openstreetmap für die Analyse und Planung von Infrastruktur vor. Weitere Vorträge und Diskussionen gab es unter anderem zur Verkehrswendestadt Kopenhagen, zur Idee eines Radstationsnetzes an ÖPNV-Knotenpunkten sowie zum Thema Multimobilkarte als Weg einer erleichterten Bezahlung unterschiedlicher Verkehrsmittel.
Aus der großen Zahl an Themen wurden Visionen und Vorschläge entwickelt und diskutiert. Kevin Huong und Eric Almstadt, Mitglieder im Jugendbeirat Hemelingen, haben selbst vor zwei Jahren ein Projekt gemacht, um den Nahverkehr in Hemelingen und ganz Bremen zu verändern. Ihr Engagement wollen sie weiter fortführen. Ihr Wunsch für 2025: „Wir könnten uns vorstellen, dass es ein Ticket gibt, für das man nur einmal im Jahr etwas bezahlt und dass man damit dann alle Angebote im VBN nutzen kann, also neben den Öffis auch Leihräder, E-Scooter usw. Dass man dann wirklich alles frei mit dieser einen Karte nutzen könnte.“
Wie geht es weiter?
Als konkrete Ergebnisse haben sich aus den unterschiedlichen Sessions des Barcamps zudem Interessierte für Arbeitskreise zur Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, zur Verbesserung von Fahrplandaten und -karten mit Open Data und zur Idee eines Freiwilligentickets „Freie Fahrt für Freiwillige“ zusammengefunden. Auch wurde deutlich, dass es einer vertieften fachlichen Betrachtung bedarf, an welchen Stellen welche Ausbaubedarfe bestehen und wie diese gelöst werden können. Hier ist die Kommunal- und Landespolitik gefragt. Sie sollte konkrete und langfristige Projekte in den Bremer Stadtteilen, genauso wie im ländlichen Raum voranbringen.
Die neu entstandenen Netzwerke sind zudem ein wichtiger Baustein für weitere Schritte für den Ausbau, da hierbei alle Interessensgruppen berücksichtigt werden müssen. Nach dem gelungenen Auftakt des Barcamps möchten wir dieses Format gerne jährlich wiederholen und auch im nächsten Jahr den Austausch und die Ideenentwicklung zum Thema Nahverkehr in der VBN-Region vorantreiben. Kontaktieren Sie uns gerne, wenn Sie das nächste Barcamp mitgestalten möchten oder Interesse an den Arbeitsgruppen haben.
Weitere Eindrücke vom Barcamp erhalten Sie im Blogbeitrag der GLS Bank und im Video der Nachrichten von buten un binnen vom 15. Februar 2020 ab Minute 0:43.
Die Veranstaltung wurde dokumentiert von Josephine Wohlrab (Text) und Friedemann Wagner (Fotos).