
Im ersten Teil unserer Reihe zur Mobilitätsarmut haben wir bereits aufgezeigt, wie Mobilitätsarmut gesellschaftliche Teilhabe erschwert. Dabei haben wir uns vor allem mit der eher offensichtlichen Mobilitätsarmut auf dem Land auseinandergesetzt. Doch Mobilitätsarmut ist kein Randphänomen ländlicher Räume – sie ist längst eine zentrale soziale Frage in Städten weltweit. Im zweiten Teil richten wir deshalb den Fokus auf die Situation in Städten – denn auch dort ist Mobilitätsarmut eine reale, wenn auch oft übersehene Herausforderung.
Was bedeutet Mobilitätsarmut in der Stadt?
Mobilitätsarmut beschreibt eben auch Situationen, in denen Menschen durch mangelnden Zugang, zu hohe Kosten oder fehlende Barrierefreiheit im Verkehrssystem in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe eingeschränkt sind. Dabei geht es nicht nur um den öffentlichen Nahverkehr: Auch Fuß- und Radwege, Sharing-Angebote, sichere Wege sowie eine barrierefreie Umgebungen spielen eine zentrale Rolle. In urbanen Räumen äußert sich Mobilitätsarmut oft durch:
- öffentliche Verkehrsmittel, die zu teuer oder schlecht erreichbar sind
- Verbindungen, die unzuverlässig oder zu lang getaktet sind (häufiger in Randlagen oder Vororten)
- fehlende Konkurrenzfähigkeit des öffentlichen Verkehrs zum Auto, insbesondere was Komfort, Zuverlässigkeit und Reisezeit betrifft
- Barrieren für Menschen mit Behinderung oder ältere Menschen
- ein unzureichendes Angebot an sicheren, durchgängigen Rad- und Fußwegen
Eine häufige Fehlannahme in der politischen Debatte – auch unter wohlmeinenden, oft linken Akteur*innen – ist es, Mobilitätsarmut vorrangig über Sozial- oder Ermäßigungstarife lösen zu wollen. Doch günstige Tickets nützen wenig, wenn es am dichten Netz, am attraktiven Takt oder schlicht an verlässlichen Verbindungen fehlt. Wer Mobilitätsarmut wirksam bekämpfen will, muss auch in Angebotsausbau, Infrastruktur und Qualität investieren.
Wer ist besonders betroffen?
Mobilitätsarmut betrifft in Städten vor allem Menschen, die ohnehin mit sozialen oder finanziellen Herausforderungen konfrontiert sind. Besonders hart trifft es Menschen mit geringem Einkommen, die sich weder ein eigenes Auto noch teure Tickets für den öffentlichen Nahverkehr leisten können. Für Arbeitslose und Geringverdienende stellen die Kosten für Mobilität oft eine reale Hürde bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz dar, da sie sich Fahrten zu Vorstellungsgesprächen oder zu weiter entfernten Jobs schlicht nicht leisten können.
Auch ältere Menschen und Menschen mit Behinderung sind häufig betroffen, weil die Infrastruktur und die Fahrzeuge in vielen Städten nicht ausreichend barrierefrei gestaltet sind. Familien stehen vor der Herausforderung, die Mobilitätskosten für mehrere Personen zu stemmen, was das Haushaltsbudget zusätzlich belastet. Hinzu kommen Migrantinnen und Migranten sowie Angehörige von Minderheiten, die oft in Stadtteilen mit schlechter Verkehrsanbindung leben und darüber hinaus mit weiteren Hürden wie Sprachbarrieren konfrontiert sind. All diese Gruppen erleben Mobilitätsarmut nicht als isoliertes Problem, sondern als Teil eines komplexen Geflechts sozialer Benachteiligung.
Wie bremst Mobilitätsarmut den sozialen Aufstieg?
Wenn Menschen keinen verlässlichen Zugang zu bezahlbaren und gut erreichbaren Mobilitätsangeboten haben, wird es für sie deutlich schwieriger, Arbeitsplätze, Bildungseinrichtungen oder Gesundheitsdienste zu erreichen. Dies schränkt nicht nur ihre beruflichen und schulischen Chancen ein, sondern auch ihre Möglichkeiten, soziale Kontakte zu pflegen und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wer beispielsweise in einem schlecht angebundenen Stadtteil wohnt, muss häufig lange und umständliche Wege in Kauf nehmen, um zu einer Ausbildungsstätte, einem Arbeitsplatz oder zu Freizeitangeboten zu gelangen.
Für Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien bedeutet das oft, dass sie seltener an außerschulischen Aktivitäten teilnehmen können und damit wichtige Chancen auf persönliche Entwicklung und Integration verpassen. So entsteht ein Teufelskreis: Die eingeschränkte Mobilität verhindert den Zugang zu Möglichkeiten, die für den sozialen Aufstieg notwendig wären, und trägt dazu bei, bestehende Ungleichheiten zu verfestigen. Mobilitätsarmut wird so zu einer unsichtbaren, aber wirkungsvollen Schranke für gesellschaftlichen Fortschritt.
Beispiele aus europäischen Städten
Studien aus Mailand, London oder Paris zeigen: Selbst in Metropolen mit eigentlich gutem ÖPNV gibt es „weiße Flecken“ – Stadtteile, in denen die Anbindung schlecht und die soziale Verwundbarkeit hoch ist. In Mailand etwa sind es vor allem die äußeren Bezirke, in denen sich soziale Benachteiligung und schlechte Erreichbarkeit überlagern. In London geben viele Menschen an, dass hohe Ticketpreise oder lange Wege zur nächsten Haltestelle ihre Job- und Bildungschancen einschränken.
Fazit: Schlüssel zur Chancengleichheit in der Stadt
Mobilitätsarmut ist eine der größten, oft übersehenen sozialen Herausforderungen in Städten – und sie betrifft Millionen Menschen weltweit. Wer sie bekämpft, schafft nicht nur mehr Gerechtigkeit im Verkehr, sondern öffnet auch Türen zu Bildung, Arbeit und gesellschaftlicher Teilhabe für alle. Mobilität ist mehr als Fortbewegung: Sie ist der Schlüssel zu sozialem Fortschritt und Chancengleichheit – in Bremen, Bremerhaven und überall sonst. Im dritten Teil unserer Reihe werden wir deshalb genauer beleuchten, wie sich Mobilitätsarmut konkret in Bremen zeigt – und welche Wege es geben könnte, sie wirksam zu verringern.