Rund 25 Teilnehmende aus verschiedenen Ecken Deutschlands diskutierten am 14.11.2020 beim 2. Barcamp die Frage, wie die Mobilität der Zukunft ökologisch, digital und sozial nachhaltig gestaltet werden kann. Neben Beiträgen von Katja Diehl und Timo Daum sorgten die Teilnehmenden selbst mit ihren Konzepten für thematischen Input. Im Vordergrund standen Vernetzung und Austausch sowie das gemeinsame Erarbeiten konkreter Ansätze für einen bessere Mobilität. Am Ende steht die Gewissheit, dass die Verkehrswende uns alle angeht. Und dass wir zusammenarbeiten müssen, um sie zu erreichen.
Vorträge von Katja Diehl und Timo Daum:
positive Zukunftsvisionen und Abrechnung mit dem Ist-Zustand
Katja Diehl gab mit ihrem Vortrag den Start in die Thematik Mobilität und Nahverkehr – und viel Stoff zum Nachdenken. Die Hamburgerin betonte die Wichtigkeit des Verkehrssektors für die Verkehrswende und hob das immense Potenzial gerade im Bereich des Nahverkehrs hervor. In anschaulichen Grafiken machte sie eindrucksvoll deutlich, welche Möglichkeiten sich durch Nahverkehrsausbau und PKW-Reduktion für die Stadtplanung und die individuelle Lebensqualität der Bewohner*innen ergeben. Ihr Ziel sind ‚kinderfreundliche‘ Städte mit einer deutlich reduzierten PKW-Anzahl, sicherem Verkehr und Raum für Bewegung und Grünflächen. Um dies zu erreichen, so Diehl, brauche es Visionen – und eine Abkehr vom Gewohnten: „die Menschen müssen ihre Komfortzone verlassen“. Und lernen, Mobilität neu zu denken. „Mobility as a Service“ soll das Ziel sein – ein multimodales Mobilitätsangebot, das eigene Fortbewegungsmittel ersetzt und sich nach dem Kund*innenbedarf richtet. Auf diese Weise profitieren alle – und jedes Verkehrsmittel hat seine Berechtigung.
Timo Daum lieferte in seinem Kurzinput Kriterien für ein Nahverkehrsmodell der Zukunft, indem er hart mit dem aktuellen System ins Gericht ging: So wie der Nahverkehr im Moment aufgebaut sei, könne er keine Lösung für die Verkehrswende sein. Er sei vielmehr „Teil des Problems“. Warum? Laut Daum ist der ÖPNV nicht sozialverträglich, zudem fehlt ein einheitliches System, der Antrieb muss umgestellt werden – und vor allem: Der ÖPNV ist „ein Verkehrsmittel zweiter Klasse“. Um die Verkehrswende voranzubringen, so das Fazit, müsse der Nahverkehr attraktiver werden. Das heißt: elektrifiziert, multimodal, einheitlich und getrieben von der Nutzenperspektive.
Kurz zusammengefasst könnte man sagen: Eine Herausforderung, aber auch eine Hoffnung – das versinnbildlicht der Nahverkehr für unsere zukünftige Mobilität. Wo können wir nun ansetzen, und wie? Damit haben sich die Teilnehmenden in ihren Kleingruppen auseinandergesetzt.
Welche Themen beschäftigen die Teilnehmenden?
So verschieden wie die sozialen Hintergründe der Teilnehmenden waren auch die vorgestellten Ideen. Von autonom-fahrenden Kabinen im öffentlichen Raum über den Bahnausbau in Niedersachsen bis zu Möglichkeiten solidarischer ÖPNV-Modelle – jede Fragestellung war willkommen. Ein zentrales Anliegen war auch die bessere Verknüpfung und simultane Förderung der verschiedenen Fortbewegungsarten Fußverkehr, Radverkehr und Nahverkehr. Die Quintessenz der Vorträge und Diskussionsrunden lässt sich in etwa so zusammenfassen:
Essenziell für die Verkehrswende sind eine Ausweitung und bessere Kombination umweltfreundlicher Fortbewegungsmittel und -methoden. Neue Verkehrsmittel wie autonom-fahrende Kabinen aber auch e-Scooter können das Angebot an nachhaltigen Fortbewegungsmitteln vergrößern. Wo möglich soll Verkehrsvermeidung angestrebt werden, ansonsten ist insbesondere das Konzept der Multimodalität zentral: die kombinierte Nutzung mehrerer Verkehrsmittel.
Ein Vorhaben zur Förderung der Multimodalität, das im Rahmen des Barcamps diskutiert wurde, ist der Masterplan „Green City“ der Stadt Bremen, der die Kooperation zwischen Anbieter*innen verschiedener Sharing-Dienste wie WK-Bike, e-Scooters etc. mit dem Nahverkehr fördern will. Ein gutes Projekt, wie die Teilnehmenden einräumen, nur: es sollte städteübergreifend gedacht werden. Denn schließlich ist die Verkehrswende eine Herausforderung, die sich nicht nur einzelnen Kommunen stellt.
Welche Wünsche an den Nahverkehr bleiben offen?
Eine bessere Zusammenarbeit ist allgemein weit oben auf der Wunschliste vieler Teilnehmender – sowohl im überregionalen Sinn als auch zwischen Initiativen, Politik und Verwaltung. Dazu kommen Wünsche nach innovativen Konzepten, eine Aufwertung des gegenwärtigen Images des Nahverkehrs und mehr Mut in der Politik, sich konsequenter für die Förderung nachhaltiger Mobilität und für eine Reduktion des Autoverkehrs einzusetzen. Eine wichtige Rolle spielt auch die Finanzierung eines neuen Nahverkehrsmodells – ob solidarisch oder umlagefinanziert, gewünscht wird sich insbesondere mehr Transparenz und Kooperation von Seiten der Politik und Gemeinden.
Ein nachhaltiges, überregional konzipiertes und vor allem attraktives Verkehrsangebot, das eine echte Alternative zum Auto darstellt – „das ist im Moment vielleicht noch eher eine Wunschvorstellung“, meint ein Teilnehmer. Aber das heißt nicht, dass wir nicht in kleinen Schritten darauf hinarbeiten können. Das Barcamp hat uns einmal mehr gezeigt: ob Studierende oder Verkehrsexpert*innen, ob Fachspezialist*innen oder Verkehrsneulinge, ob alt oder jung – das Ziel besserer, nachhaltiger Mobilität verbindet Mitglieder verschiedenster Gesellschaftsgruppen. Und gemeinsam können wir viel erreichen.
Barcamp 2.0 online: wie das Format virtuell funktioniert
Das zweite von Einfach Einsteigen veranstaltete Barcamp sah sich mit einer besonderen technischen Herausforderung konfrontiert, nämlich ein von Ideenaustausch und Interaktion geprägtes Format wie das des Barcamps auf eine online- Veranstaltung zu übertragen. Denn das Barcamp ist ein offenes „Unkonferenz“-Format, in dem die Teilnehmer*innen selbst Ihre Themen einbringen. Es wird in lockerer, aber ernsthafter Atmosphäre gearbeitet und am Anfang der Veranstaltung wird das Programm gemeinsam zusammengestellt – je nach den Interessen und Wünschen der Teilnehmenden.
Wir hatten es uns zum Ziel gemacht, diesen besonderen partizipativen Charakter im online-Format zu erhalten. Darum konnten die Teilnehmenden sowohl im Vorhinein als auch während der Konferenz Wünsche für eigene Ideen und Konzepte zur Nahverkehrsgestaltung äußern. Die Vorschläge wurden im Plenum vorgestellt, anschließend gab es Kleingruppen-Räume zu den einzelnen Themen, in denen die Teilnehmenden sich austauschen konnten. Jede*r Einzelne konnte sich in die Breakout-Session zu dem Thema einwählen, das ihn oder sie am meisten interessierte. Insgesamt fanden zwei solcher Diskussionsrunden à drei Kleingruppen statt, in denen diskutiert und konkrete Lösungsansätze zum jeweiligen Thema erarbeitet wurden. Diese wurden dann im Plenum vorgestellt. Das Wechselspiel aus Vortrag und Diskussion, Feedback und einer kleinen Körperübung zwischendurch sorgten für das einhellige Fazit: Das war eine spannende, kurzweilige Veranstaltung!
Das nehmen wir mit:
Wir sind zufrieden, das online-Barcamp so erfolgreich gemeistert zu haben: Die Teilnehmenden haben intensive Kontakte geknüpft, die sie auch weiterhin aufrecht erhalten wollen. Um die Verkehrswende deutschlandweit voranzubringen ist es essenziell, ein Netzwerk aufzubauen, Informationen und Wissen zu teilen und von den Erfahrungen anderer zu lernen – das haben wir erreicht. Sowohl in den Plenumsdiskussionen als auch in den Kleingruppen gab es rege Interaktion, stellten die Teilnehmenden Fragen, teilten Meinungen und Ideen und nutzten auch die Chatfunktion, um sich zu vernetzen und Informationen weiterzugeben. Durch den Austausch fühlen sich die Teilnehmenden bestärkt in ihrer Arbeit und in der Gewissheit dass es uns gemeinsam gelingen kann, die Mobilität Schritt für Schritt auf einen nachhaltigeren, sozialeren Pfad zu bringen.
Alles in allem also erfreuliche Erkenntnis: Barcamp online funktioniert – mit dem richtigen technischen Support, vor allem aber mit motivierten Teilnehmenden! Ohne die vielen Engagierten, die mitgewirkt haben, wäre unser zweites Barcamp niemals ein solcher Erfolg gewesen. Ein großes Danke noch einmal an alle, die sich eingewählt, mitdiskutiert und beigetragen haben!
Wir hoffen, dass wir alle Teilnehmenden bei unserem nächsten Barcamp wiedersehen! Alle Interessierten, die bisher keine Zeit hatten oder das Format jetzt erst kennenlernen sind selbstverständlich ebenfalls herzlich eingeladen, bei unserem 3. Barcamp nächsten Sommer zum Thema Autofreie (Innen)Stadt Barcamp-Luft zu schnuppern!